Prof. Lydia Haack
Architektin und Landesvorsitzende BDA Bayern
Dass Architekten in ihrer beruflichen Existenz viele Einschränkungen auf sich nehmen ist eher die Regel und weniger die Ausnahme. Lange Arbeitszeiten, niedrige Gehaltsstruktur und hohe Haftung prägen den beruflichen Alltag. Obgleich die Nachteile im Vergleich zu anderen Berufen bekannt sind, ist das Studium der Architektur attraktiv und Architekt auch heute noch ein Traumberuf für viele junge Akademiker. Das dem so ist, liegt an der Förderung des kreativen, konzeptionellen Arbeitens und der Suche nach Lösungen zu komplexen Aufgabenstellungen, die nicht zwingend vorbestimmt sind. Das Studium fördert kreative Persönlichkeiten, die mit uneingeschränktem Optimismus etwas verändern und bewegen wollen.
Das Potential an schöpferischer Kraft, die Aufgeschlossenheit für innovative Lösungsansätze, hohe Leistungsbereitschaft und die Weitergabe des profunden Wissen erfahrener Kollegen war stets eine solide Grundlage für die Entwicklung zeitgemäßer Architekturkonzepte. Besonders im Wettstreit der Ideen bei konkurrierenden Verfahren im Rahmen eines bewährten, generationenübergreifenden Wettbewerbssystems zeigt sich oftmals, wie Nachwuchs oder auch ‚vermeintliche Außenseiter’ an der Erneuerung wie auch der Kontinuität in der Architektur teilhaben und so zur Sicherung eines hohen Standards an Baukultur beitragen.
Die Historie zeigt, dass es oftmals jene ‚Unerfahrenen’ waren, die mit großartigen und preiswürdigen Lösungen überzeugten und so gelegentlich auch ‚erfahrene Büros’ auf den zweiten Platz verwiesen. Über den erzielten Wettbewerbsgewinn war dann auch der Einstieg in die Selbstständigkeit möglich, denn der Nachweis für das Können war somit auch ohne ein Referenzobjekt erbracht. Diese Aufgeschlossenheit gegenüber den ‚Nicht-Etablierten’ schwindet und besonders die ‚Jugend’ scheint unserer Gesellschaft zu riskant zu sein.
Junge Büros, talentierte Newcomer, aber auch kleine Bürostrukturen erhalten kaum noch Chancen, an öffentlichen Wettbewerben teilzunehmen. Oder sie scheiden in Vergabeverfahren von vorherein aus, da sie die geforderten Nachweise nicht erbringen können. Da aber der Anteil kleinerer Bürostrukturen mit bis zu vier Mitarbeitern ca. 85% aller Architekturbüros in Deutschland ausmacht, zeigt sich, wie unhaltbar dieser Zustand ist. Kaum jemand auf der Ausloberseite scheint ernsthafte Bedenken gegen diese heute praktizierte, baukulturell kontraproduktive und wettbewerbsfeindliche Ausschreibungspraxis zu hegen. Obgleich damit für den Auslober ein Verlust an kreativem Potential für seine Aufgabenstellung einhergeht.
Die Wettbewerbsstatistik der Bundesarchitektenkammer verzeichnet 2014 insgesamt lediglich 379 Wettbewerbe in Deutschland, Tendenz abnehmend. Und fast alle Wettbewerbe werden in Deutschland nur noch als Verfahren mit begrenzter Teilnehmerzahl ausgelobt.
Die Konsequenz ist fatal. Ein über lange Jahre hin etabliertes Verfahren, in dem allein die architektonische Qualität im Vordergrund der Vergabeentscheidung stand, wird entwertet. In Auswahlverfahren werden ‚harte Fakten’ herangezogen: quantitative Aspekte (beispielsweise Bilanzen, Mitarbeiterzahlen, Erklärungen über Gesamtumsätze und Versicherungspolicen sowie Referenzlisten mit bereits abgeschlossenen vergleichbaren Leistungen) fließen überproportional in die Bewertung ein. Dem gegenüber stehen nur gering gewichtete Aussagen zur entwurflichen und baulichen Qualität. Freilich gibt es immer wieder löbliche Ausnahmen. Bei der überwiegenden Mehrheit der Ausschreibungen erfolgt jedoch eine systematische Aufstellung von Zulassungsbeschränkungen, die den Teilnehmerkreis bereits im Vorfeld auf wenige und meist große Büros begrenzt.
Die Folge: An Stelle der Konkurrenz der Ideen, tritt so die Konkurrenz der Etablierten.
Ist das der richtige Weg in Zeiten, in denen Antworten auf maßgebliche Herausforderungen gesucht werden müssen, wie beispielsweise die Bevölkerungsentwicklung, der Mangel an Wohnraum für unzählige Menschen, Klimawandel und Ressourcenverknappung? Sicherlich nicht.
Das bereitwillige Angebot unseres Berufsstand, ob jung oder alt, sich im Wettbewerb, häufig unbezahlt und auf eigenes Risiko (!) zu beteiligen, stellt einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit und Attraktivität unseres Landes dar. Ein Angebot, dass offenbar schwer zu vermitteln ist und von dem viel zu wenig Gebrauch gemacht wird.
Die deutschlandweite Statistik zeigt, dass das Verständnis für qualitätsorientierte Verfahren in Bayern noch am ehesten vorhanden ist. Über ein Viertel aller deutschlandweit ausgelobten Wettbewerbe werden in Bayern ausgetragen. Dies kommt zuweilen auch unserem beruflichen Nachwuchs zugute, wie der „max40-Preis“ für junge Architekten zeigt.
Der BDA Architekturpreis „max40 – Junge Architekten“ macht das Potential junger Architekten und die Qualität der Architektur junger Büros sichtbar. Er macht darauf aufmerksam, wie trotz geringer Berufserfahrung mit großer Professionalität kreative, kluge und angemessene Lösungsansätze umgesetzt wurden. Mit Kompetenz und Umsicht in Planung und Ausführung entstanden Projekte von hoher Qualität in funktionaler, räumlicher und ästhetischer Hinsicht gleichermaßen. Zum Wohle der Bauherren, der Nutzer und letztendlich unserer Baukultur.
Er zeigt aber auch, welche Potenziale ungenutzt bleiben oder verloren gehen, wenn junge Architekten nicht unterstützt werden, in ihren wertvollen Beiträgen und in ihrer Selbständigkeit als Nachwuchs für den Berufsstand und den Mittelstand in unserer Gesellschaft. Zumal zu befürchten ist, dass sich vor dem Hintergrund anstehender Gesetzesveränderungen, die Lage für die Architektur insgesamt nicht verbessern wird. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um diesen Einschränkungen entgegen zu treten und dabei den Nachwuchs an jungen Architekten, mit seinen Erwartungen an die Zukunft einzubeziehen. Es gilt die uneingeschränkte generationenübergreifende Chancengleichheit zu bewahren, die Ausdruck unserer freien Gesellschaft ist.
Zehn Jahre sind vergangen, als ich mit Christine Bernard 2007 bei ea Edition Architektur das Buch „Next München – 40+ Architekten um 40“ mit u.a. Jatsch Laux Architekten, Palais Mai, 03 München, Büro für Architektur+Städtebau, Fischer Architekten, Holzfurtner+Bahner, tools off. Architecture, zillerplus Architekten und Stadtplaner, Studio für Architektur Peter Haimerl, bogevischs buero, Robert Mayer Architekten, Muck Petzuet Archtekten und u.a. mit Beiträgen von Elisabeth Merk, Oliver Heiss, Hannes Rössler herausgab. Ein Buch damals über die „Unbekannten“, die „Nachkommenden“, über den Umgang mit Architektur, ein Buch über Potenziale in der Architektur. Alle Architekten haben es mittlerweile geschafft, sie gehören dem Architektur-Establishment weit über München hinaus an.
Leise Zweifel aber sind geblieben, wer kümmert sich denn um den wirklich jungen Architektur-Nachwuchs, all die jungen Architekten, die die Architektur-Ausbildungsstätten (nicht nur in München) verlassen, wer kümmert sich (- abgesehen von vereinzelten Hochschulaktivitäten und u.a. wirklich großartigen Initiativen wie dem Egon-Eiermann-Preis, dem Senator von Borst Preis, dem Heinze Award, dem Helmut-Rhode-Förderpreis -) um die Architekten um 30?
Ein „Architekturkartell“ schließt junge Architekten praktisch aus. Manchmal könnte es den Eindruck haben, als ob Entscheider in Architektur und Städtebau, nicht nur die heutigen Architekten um 40 die „Schotten dicht machen“ hinter sich, das „Boot ist voll“, „nach mir die Sintflut“ denken, mit verheerenden Folgen nicht für die Architektur, sondern gerade auch für die Baukultur.
Es ist deshalb dringend notwendig, konzertiert und umfassend die Hürden des Systems abzubauen, jungen Architekten dabei zu helfen, sich selbst zu positionieren, Nischen oder Büromodelle zu finden, ihnen den Start in die Selbstständigkeit schon frühzeitig zu ermöglichen.