Cornelia Hermann

Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Waldorfschulen in Bayern e.V., Gröbenzell

Prof. Nikolaus v. Kaisenberg
Architekt, Stadtplaner, Alfter

Individualität und modulares Bauen können Freunde werden, wo die Bedürfnisse der Nutzer erkannt und mit Augenmaß umgesetzt werden. – Jeder Lebensraum ist ein Lernort. Ist jeder Lernort auch ein Lebensraum, ein Entfaltungsort für junge Menschen und ein Verweilraum für ihre Lehrer? Erziehungs- und Bildungseinrichtungen werden immer mehr Orte für Familienersatz. Wo Schulen bisher ihren Platz im Rahmen einer sozialen Ordnung hatten, sollen sie heute selber diese Ordnung herstellen. Die gesellschaftliche Anforderung an eine Ganztagsschule z.B. stellt den Topos vom Lernen fürs Leben auf den Kopf, sie soll nun selber eine Topografie des Lebens und Lernens gestalten. Dies kann gelingen mit einer neuen Schulentwicklung. Erziehung und Bildung werden dann den Stellenwert in der Stadtstruktur anfragen, der ihnen nach diesem Anforderungsprofil zukommt

Die Schule steckt im Schulhaus wie ein Kind in seinen Kleidern. Ja, die Kleidung zwickt. Sie folgt nicht den Bewegungen. Die Haltung und der Gang haben sich der Einschränkung angepasst. Wo die Passung zwischen pädagogischem Ansatz und Schulgebäuden defizitär ist, wird der Anspruch auf Übereinstimmung von Form und Inhalt oft geleugnet, als sei die artgerechte Haltung von Lebewesen ein Ideal nur für den Zoo. Körperliches Wohlbefinden von Kindern ist die erste Voraussetzung für Ankommen und Öffnung, für Erlebnis- und Lernbereitschaft. Es verlangt vom Haus physische Grundeigenschaften. Das psychische Befinden folgt einer Form, Farb- und Lichtgestaltung, in der sich Dialogbereitschaft des Gebäudes äußert. Soziales Verhalten orientiert sich am Sozialverhalten der Gebäudeteile. Stehen sie in Wahrnehmung zueinander oder sind sie Vorbilder gegenseitiger Ignoranz? Schüler reagieren auf pädagogische Ambiguität ebenso irritiert wie auf widersprüchliche Aussagen der Umgebungsbauten.

Die körperliche Erfahrung gebauter Konzepte löst Schlüsselerlebnisse aus, die auf unser Denken und Handeln einschränken oder erweitern. Wie beziehen wir die Entwicklung pädagogischer Profile und architektonischer Räume so aufeinander, dass sie sich gegenseitig steigern, und wie kann eine Schulgemeinschaft an diesem Prozess beteiligt werden?

Wo die gute Form bisher als Ansichtssache galt; suchen Schulen mit ihren Planern nun das gemeinschaftliche Buchstabieren objektiv erfahrbarer Wirkungsparameter. Wenn Bauten die Spur des zurückgelegten Weges sind, dann fragt die Zukunftsschule nach Werkgestaltung durch Weggestaltung. Objekt- und Prozessgestaltung kommen dann in der baulichen Schulentwicklung zur Deckung.