Dr. Otto Seydel

Pädagoge und Schulreformer, Überlingen – Hödingen

Die Nutzungsdauer von Schulgebäuden wird – wie die von anderen öffentlichen Bauten auch – mit einem Zeitraum zwischen 50 und 80 Jahren berechnet. Welche gesellschaftlichen und pädagogischen Anforderungen an eine Schule im Jahr 2095 gestellt werden, ob es dann Schulen im herkömmlichen Sinn überhaupt noch geben wird – die Fragen wagt vermutlich selbst der mutigste Bildungsforscher kaum ernsthaft zu beantworten, selbst für das frühere Datum 2065 nicht. Fortschreibungen gegenwärtiger pädagogischer Entwicklungstendenzen würde ich im besten Falle für die nächsten 10 bis 15 Jahre vertreten wollen.

Anpassungsfähigkeit an einen Wandel der pädagogischen Konzepte – weitergehend: Anpassungsfähigkeit sogar an eine mögliche Umnutzung – wäre die erste Anforderung, die ein Schulträger an die Konzeption eines zukunftsfähigen Schulgebäudes zu stellen hat.

Damit liegt das Dilemma auf der Hand: Die Passung des Raumkonzept mit dem heutigen Entwicklungsprogramm der Schule ist gleichzeitig geboten. Einen Weg zur Lösung dieses Dilemmas bietet zunächst die Verständigung auf Prinzipien, die den pädagogischen Paradigmenwechsel der letzten Jahre kennzeichnen und die erhebliche Auswirkungen auf die räumliche Organisation einer jeden Schule haben:
– von der frontalen Instruktion als „Normalfall“ von Unterricht zu einem flexiblen Wechsel von Einzelarbeit, Tandems und Kleingruppen, Vortrag im Klassen- oder Jahrgangsverband;
– von „Paper & Pencil“ zu einem handlungsorientierten Unterricht „mit allen Sinnen“;
– vom homogenen Klassenverband zu einer höchst heterogenen Gruppenzusammensetzung in einer inklusiven Schule;
– von einer Halbtagsschule zu einer rhythmisierten Ganztagsschule, in der es um weit mehr geht als nur um prüfungsgeleitetes Lernen.

Der moderne Schulbau in Europa hält inzwischen auf diese Herausforderungen erfolgreich erprobte Lösungsvarianten bereit: vom „Klassenraum plus“ (einem deutlich vergrößerten Klassenraum) über transparente Clusterlösungen bis zur offenen Lernlandschaft für Großgruppen. Je nach örtlichen Gegebenheiten und pädagogischen Profil sieht die notwendige „Passung“ von Schule zu Schule anders aus. Die seit über hundert Jahren etablierte Standardlösung der ein- oder zweihüftigen Flurschule mit „Schuhkarton“-Klassen taugt für die Anforderungen im 21. Jahrhundert nicht mehr – auch wenn wir heute noch nicht sagen können, wie die Schule im Jahr 2065 aussehen wird.