von Dr. Jörg Heiler
Architekt und Stadtplaner, Kempten
Heimat Bayern 2020 (1) – ein Programm des bayerischen Heimatministers – provoziert aktuell eine dringende Diskussion über das räumliche Gesicht (2) Bayerns. Denn die darin diskutierte weitere Lockerung des Anbindegebots an bestehende Siedlungsstrukturen wird Landschaften in Bayern verstärkt herausbilden, die kaum mehr etwas mit den Bildern vorindustrieller Landschaften in unseren Köpfen zu tun haben.
Die Stadtlandschaften, von denen hier die Rede ist, entstanden mit der Industrialisierung und der Auflösung der Grenzen zwischen Stadt und Land. Seit mindestens ein oder zwei Generation sind sie für jeden konkret im Alltag erfahrbar. Dennoch werden die Stadtlandschaften von Öffentlichkeit und Politik entweder ignoriert, vertuscht oder für das technische und ökonomische Funktionieren unserer Gesellschaft gerechtfertigt. In der Fachwelt sind sie spätestens dank Thomas Sieverts‘ Zwischenstadt Thema. Aus dem akademischen Elfenbeinturm kommen sie dennoch kaum in den Alltag – zumindest nicht im Freistaat.
Denn wie kann es sonst sein, dass hierzulande Tourismus und Imagekampagnen immer noch Bilder vermeintlicher Ideallandschaften kompakter Altstädte in naturräumlich geprägten Landschaften vor sich her tragen, allerdings seit Jahrzehnten und tagtäglich von uns verstädterte und technisierte Landschaften weiter real gebaut werden? Und je mehr Trachten bemänteltes Brauchtum beschworen wird, je mehr werden die bayerischen Kulturlandschaften früherer Generationen und Gesellschaften verändert.
Zur Frage, welche Landschaften unsere Zeit produziert, gehört auch die Diskussion, ob unsere mobile, digitale und individualisierte Gesellschaft (3) – eine weitgehend verstädterte Gesellschaft – nicht in Widerspruch zu einem starren Gegensatz zwischen Stadt und Land oder zwischen Zentrum und Peripherie steht?
Diese Widersprüche sollten aufgelöst, zumindest bewusst werden, wenn das Gesicht Bayerns zur Diskussion steht. Spätestens dann, wenn man dieses Gesicht weiter verändern möchte.
Am Anfang steht damit die Anerkennung der Stadtlandschaften als Realität auch in Bayern. Neben der Pflege tradierter Landschaften besteht die Aufgabe, diese Stadtlandschaften weiterzuentwickeln und zu gestalten. Wir sollten uns um unsere Stadtlandschaften als Schichten unseren zukünftigen Kulturlandschaften kümmern. Das bedeutet in erster Linie die Qualifizierung vorhandener Stadtlandschaften. Nicht nur auf einer ‚harten‘ technisch-funktionalen Ebene, sondern auch auf einer ‚weichen‘ kulturell-sinnlichen Ebene. Falls neue Stadtlandschaften erforderlich sein sollten, sind eine breite Diskussion von Entwurfsstrategien und anpassungsfähige Vorstellungen über deren Struktur und Gestalt unausweichlich. Ein ‚Laufenlassen‘ nach dem einfallslosen Motto ‚jede Autobahnausfahrt bekommt ihr Gewerbegebiet‘ bedeutet hier kurzatmigen Aktionismus und wird zum schweren Erbe für kommende Generationen.
Was also machen wir in Zukunft mit den Stadtlandschaften in Bayern? (4)
Wie können Öffentlichkeit und Politik für Stadtlandschaften sensibilisiert werden?
Wie überbrückt man die Kluft zwischen geschätzten Bildern und wirklichen Landschaften?
Welche räumlich-ästhetischen Qualitäten haben diese Lebensräume?
Welche ökonomischen, sozialen und kulturellen Möglichkeiten stecken in ihnen?
Welche Stadtlandschaften hinterlassen wir zukünftigen Generationen?
Denkbare Antworten und Handlungsmöglichkeiten, die hier skizzenhaft in den Ring geworfen werden, setzen auf einer räumlich-architektonischen Ebene an – vor Ort und in der Region.
Öffentlicher Raum und Handlungsraum
Die gegenwärtigen Stadtlandschaften erschweren durch ihre Fragmentierung eine öffentliche Zugänglichkeit. Eine Vielfalt von öffentlichen Räumen mit Aufenthaltsqualität und Zugänglichkeit ist daher eine entscheidende Qualität. Landschaft soll öffentliche ‚Bühnen‘ für Aktivitäten, Begegnung und Kontemplation ermöglichen.
Atmosphäre und sinnliche Erfahrung
Das Wesen einer Landschaft wird besonders von Atmosphären geprägt, die auf alle Sinne wirken, zugleich Gefühl und Geist ansprechen. Atmosphäre trägt zum Charakter einer Landschaft bei, ist Identität stiftend und schafft etwas Eigenes. Die Atmosphäre einer Landschaft ist nicht das Gleiche wie Ihr Bild, sie geht über das Visuelle hinaus. In einer globalisierten, mehr und mehr gleichförmigen Welt wird dies als Alleinstellungsmerkmal ausschlaggebend sein.
Gestalt
Morphologie und Gestalt der Stadtlandschaft wird insbesondere in der Bewegung im Zug, im Auto, auf dem Rad oder beim Fernblick erlebbar. Wichtig sind hierbei die Integration von Objekten wie Windkraftanlagen, die als Landmarken sichtbar sind, und die Gestaltung von Infrastrukturen. Hierzu sowie zur Offenhaltung von Landschaft gehört auch die Diskussion einer neuen Rolle der (Stadt)Landwirtschaft.
Vielfalt und Komplexität
Es ist wenig sinnvoll, gegebene Überlagerungen, Komplexität, Differenzen oder manchmal sogar ‚Brüche‘ auszublenden, sondern als Potential für den Entwurf einer Stadtlandschaft zu nutzen. Potential steckt zudem in der sorgfältigen räumlichen und zeitlichen Überlagerung unterschiedlicher Nutzungen.
Vernetzung und Anschlussfähigkeit
Eine regional gedachte Stadtlandschaft kann die häufig ‚autistischen‘ kommunalen Planungen miteinander vernetzen. In sich funktionierende, nur an die Verkehrsinfrastruktur angedockte Gewerbegebiete oder andere funktionshomogene Systeme können anschlussfähig gemacht werden. Raumwechsel von einem Raum der Stadtlandschaft in einen anderen und Zusammenhänge werden in der Bewegung durch Gliederungen, Weitungen oder Verengungen, Schwellen und andere leiblich erfahrbare Konstellationen spürbar.
Zweifellos gibt es für gestaltete Stadtlandschaften nur wenige Beispiele. Darin liegt eine große Chance für Bayern. Architekten, Landschaftsarchitektinnen und Städtebauer sind gefordert, sich in diese Prozesse interdisziplinär und fachübergreifend einzubringen. Und das heißt, gesellschaftspolitisch zu denken – und zu agieren.
Gibt es kein anderes Instrument, den Zugriff auf frisches Land zu lockern, um den Gemeinden eine (vermeintlich) materiell abgesicherte Zukunft zu bieten?
Greift dies überhaupt nachhaltig ?
Ich verbrachte meine Kindheit am Rand des Ruhrgebiets in einer Kleinstadt. Unsere Spielräume lagen zwischen Bauernhof, Kohlehalde, Kiesgrube und ein bisschen Wald.
Die Konkurrenz der dortigen Kommunen um einzelne Betriebe, insbesondere mit dem Rückgang des Bergbaus, führte und führt zum überwiegend schonungslosen Umgang mit den ohnehin wenigen Landschaftsräumen, die zunächst wegen Ihrer Bodenschätze „gehoben“ wurden. Der ökonomisch Druck hat allzeit und allerorts Vorrang.
Gebracht hat dies alles den Kommunen wenig, sie wurden systematisch gegeneinander ausgespielt und stehen ökonomisch häufig am Rand.
Und Urlaub macht man – klar – in Bayern!
Das sollte auch der Politik zu denken geben!
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn auch alles richtig, hätte man das doch auch kürzer und prägnanter bringen können. Ich stimme allerdings voll zu. Wir brauchen mehr Vielfalt und Komplexität!
Die Mißachtung des ländlichen Raums insbesondere auch ausgewiesener Landschaftsschutzgebiete ist schon heute bedauerlicherweise in Bayern häufig anzutreffen.
Für im Aussenbereich gelegene, nicht mehr aktiv bewirtschaftete Bauerngehöfte wird flugs eine gemischtgewerbliche Nutzung genehmigt; anschliessend ein Gewerbegebiet geplant. Dem gesetzlichen Anbindungsgebot hat man somit entsprochen.
Aktuell wird dies im Landkreis Starnberg praktiziert; siehe http://www.rettet-den-schmalzhof.de