Karlheinz Beer, Architekt BDA und Stadtplaner, BDA Landesvorsitzender, München/Weiden
Bayerns Bevölkerung wächst. Seit 1840 hat sich die Einwohnerzahl Bayerns mehr als verdreifacht – auf heute mehr als 12,7 Millionen Menschen. In München stieg die Einwohnerzahl in den letzten 15 Jahren um über 250.000 Menschen. Die Tendenz: weiterhin steigend
Warum? Freistaat und Landeshauptstadt gelten als lebenswert, mit Raum und herausragenden Möglichkeiten für lebenssichernde Erwerbsarbeit, aktive Erholung und persönliche Entfaltung. Bayern und seine Kommunen überzeugen durch landschaftliche Schönheit, die Vielzahl bedeutsamer historischer Stadträume und Gebäude und einem hohen baukulturellen Niveau. Doch neben Prachtbauten führten früher auch Bauaufgaben für schlechter Gestellte zu herausragenden Beispielen von Baukultur. Noch heute bewohnten Sozialsiedlungen wie etwa der Fuggerei in Augsburg ist eigen: Sie sind gut geplant, funktional und nach wie vor aktuell.
Angesichts tagtäglicher Flüchtlingsströme und anhaltender (Binnen-)Migration stellt sich uns heute eine besondere Herausforderung für die Baukultur und damit Aufgabe der Architektenschaft: Die menschenwürdige und bezahlbare Unterbringung sozial schwacher sowie vor Krieg und Terror geflohener Menschen.
Die Verteilung der Ankommenden in schrumpfende Regionen mit Leerstand kann ein Baustein zur Unterbringung sein – ein entsprechendes Arbeitsplatzangebot vorausgesetzt, das wesentliche Voraussetzung für Integration ist. Doch wird diese Maßnahme allein nicht ausreichen. Kommunen, Investoren und Planer müssen gemeinsam Grundstücke in integrierbaren Lagen identifizieren, um auch den dringend benötigten Bedarf an Neubauten für alle Wohnungssuchenden zu generieren.
Wir Architekten sehen uns der Gesellschaft verpflichtet und stehen für Qualität. Wir stellen zudem die Frage nach Identität angesichts rasanter gesellschaftlicher Veränderungen. Deshalb übernehmen wir Verantwortung: in der Rolle des Koordinators, Kommunikators und Konfliktmanagers initiieren wir den breiten Dialog, um frühzeitig alle Akteure eines Bauvorhabens an einen Tisch zu bringen.
Denn Bauen für Bedürftige und Flüchtlinge ist ein emotional besetztes Thema, das zu Unsicherheiten führen kann. Es bedeutet auch, Ängsten zu begegnen, die einen moderierten Prozess benötigen. Es bedeutet, mehr als bloße Behausungen, gemessen in Quadratmetern, zu errichten. Es verlangt, die neuen Bauaufgaben städtebaulich zu integrieren, sie an wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Qualitätskriterien auszurichten, um dauerhaften, synergiestiftenden Wohnraum zu schaffen.
Vergessen wir nicht: Was heute gebaut wird, wird für Jahrzehnte bewohnt. Deshalb ist es von Anfang an geboten, die Weiterentwicklung unserer Städte und Gemeinden sorgsam zu planen. Nur so lässt sich vermeiden, Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, die Gettho-Bildung begünstigen und zu Ausgrenzung statt Integration führen. Vermeintlich ersparte Kosten von heute werden zu erhöhten wirtschaftlichen Schäden von Morgen. Dies gilt es jetzt mit Weitsicht zu verhindern.
Treten wir die Flucht nach vorne an! Denken wir gemeinsam nach und handeln wir.