Parlamentsbauten sind ein Ausdruck der architektonischen und gesellschaftlichen Haltung ihrer Zeit. Doch sind sie ihrer Gegenwart im Vergleich mit vielen ihrer gebauten Zeitgenossen auch immer ein wenig voraus, sie sind eine Art Vorbote dessen, was da kommen kann.
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Es ist einige Jahre her, dass ich eine Publikation des damaligen Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zum Neubau des Plenar- und Präsidialbereiches im Deutschen Bundestag in Bonn las. Die abgedruckte Fotografie des Plenarsaales in Bonn überlagerte sich vor meinem inneren Auge mit den Bildern aus dem heutigen Plenarsaal des ehemaligen Reichstages in Berlin. Drei wesentliche Unterscheidungsmerkmale der beiden Bauten haben mir in genau diesem Moment bildhaft das Unbehagen veranschaulicht, das ich seit vielen Jahren angesichts der Verortung des Deutschen Bundestages im ehemaligen Reichstag mehr oder weniger unbestimmt empfand.
Am augenfälligsten erschien mir die so unterschiedliche Anordnung des Plenums. Während in Bonn die kreisrunde Sitzordnung, wie Günter Behnisch es beschrieb „…das Diskutieren im Plenarsaal evozieren und das Vortragen nicht ohne weiteres nahelegen“1 sollte, greift die Sitzordnung des Berliner Reichstages zwar die demokratischen Prinzipien der französischen Nationalversammlung auf, bei der alle Abgeordneten unabhängig von ihrer persönlichen Funktion im Halbkreis sitzen und ihnen lediglich das Präsidium des Parlamentes gegenüber gestellt ist. Dennoch führt diese Berliner Sitzordnung zum Zentrieren der Blickachsen auf das Rednerpult.
Norman Foster schildert die Entscheidungsgrundlage für diese Anordnung wie folgt: „Für den endgültigen Entwurf entwickelte das Team jedoch eine komprimierte halbrunde Gestalt – eine Anordnung, welche die demokratischen Eigenschaften der klassischen Sitzordnung beibehält, es aber für alle einfacher macht, das gesamte Plenum frontal anzusprechen, die Tradition bewahrend.“2 Eine Diskussionskultur in diesem komprimierten Halbkreis zu entwickeln, erscheint geradezu undenkbar. Denn selbst kurze Redebeiträge der Parlamentarier können sich nicht wie selbstverständlich ins Rund der Versammlung richten, sondern fokussieren grundsätzlich auf das Rednerpult und damit auf ein spezifisches, personalisiertes Gegenüber. Der Bonner Grundsatz des Vorranges parlamentarischer Diskussion über frontales Dozieren, oder in Behnischs Worten: „Man verspricht sich von dieser Art der Anordnung, dass in Zukunft leichter diskutiert werden kann und weniger vorgetragen werden muss.“3, scheint also bereits vor dem Umzug des Bundestages nach Berlin verloren gegangen zu sein.
Eine zweite wesentliche Erkenntnis bezieht sich auf den erheblichen Unterschied im Verhältnis des jeweiligen Plenarsaales zum öffentlichen Raum. Das Bonner Parlament liegt in einer leichten Mulde, der gebauten Fortsetzung der Rheinauenlandschaft, verbunden mit dieser durch eine Übertragung der Angemessenheit, des Maßstabes und der Dichte der umgebenden Landschaft in die Gestaltmerkmale der Plenarsaalarchitektur. Die Trennung des Außen vom Innen ist transparent, trotz erheblicher Sicherheitsanforderungen spiegelt der Schnitt durch den Saal und die Rheinauen den sehr unmittelbaren Bezug zwischen Parlament und Öffentlichkeit wider. Das Selbstverständnis einer noch immer recht jungen Demokratie wird so geprägt von der Versammlung der Parlamentarier, die sehr offen und zugänglich erscheint, inmitten der sie umwogenden Außenwelt. Die Haltung überzeugte offensichtlich, denn es hieß im Auslobungstext des Architektenwettbewerbes zum Umbau des Reichstagsgebäudes in Berlin: „Im Entwurf soll Transparenz zum Ausdruck kommen, die Bürgernähe und Freude an Kommunikation, Diskussion und Offenheit spüren lässt.“ 4 Dieser mutige und von der Bonner Erfahrung des Bundestages geprägte Satz zerschellte anschließend am wilhelminischen Würfel, in dessen Bauantrag vom 30. März 1871 geschrieben steht: „Die Errichtung eines monumentalen Parlamentshauses, würdig, die Erfolge des Jahres 1870 zu verherrlichen, ist ein Bedürfnis der Deutschen Nation.“5
Foster hat wohl versucht, wie vor ihm schon Paul Baumgarten, dem Reichstag eine demokratische, volksnahe Einstellung abzuringen. Doch so, wie der große Schirm über dem Reichstag und der darunterliegende öffentliche Raum unter den sich wandelnden städtebaulichen und politischen Bedingungen nach dem Wettbewerb verloren gingen, so hält der Plenarsaal des Deutschen Bundestages heute Abstand zu jenen, die das Plenum wählen. Die große Glasscheibe zwischen den Säulen kann das noch über den Sockel des Reichstages hinaus erhobene Plenum auch nicht wirklich mit der Öffentlichkeit verbinden, stellt nur noch ausschnittshaft die Bühne der Demokratie öffentlich zur Schau.
Dem folgt sogleich die dritte Erkenntnis, die mich bei der Überlagerung der Bilder einholte: während der Bundesadler in Bonn als geschlossen elliptische, grafisch gefasste Figur auf massiver Wand hinter dem Parlamentspräsidium angebracht war, hängt in Berlin eben jener Adler in einem Stahlseilgeflecht vor gläserner Wand, eingerahmt von zwei ihm sehr nahe rückenden Säulen. Das Wandprinzip der Plenarsäle ist also exakt umgekehrt: die gläserne Außenhaut mit massivem Grund für das Symbol unserer Demokratie verkehrt sich in Berlin zu einem massiven Säulen- und Mauergewand vor dem gläsernem Grund der Symbolfigur.
Günter Behnisch hat in Bonn gezeigt, wie Architektur in aller Bescheidenheit und Zurückhaltung einen lichten Eindruck schaffen kann, weit entfernt von Ausgrenzung, Abgrenzung und Abschottung. Ich bemerke aber auch, dass in einem Land, dessen aktuelle Parlamentsarchitektur sich weit von den Prinzipien der Transparenz und Offenheit der Bonner Republik entfernt hat, der Umgang mit der Freiheit des Einzelnen und dessen gesellschaftlicher Integration in weiten Teilen unserer Bevölkerung immer noch recht undramatisch und vorurteilslos gelebt wird. Architektur nimmt dabei die Rolle der durch das Leben geprägten gebauten und stetig sich wandelnden Umwelt ein, ganz so, wie Bernard Tschumi es in seiner Schrift Architecture and Disjunction sehr treffend in Worte fasste: „Jenes der Architektur eigene Aufeinandertreffen von Raum und Funktion und das unvermeidliche Entweder-oder der beiden Begriffe bedeutet, dass Architektur andauernd instabil ist, ständig am Rande des Wandels. Es ist paradox, dass dreitausend Jahre architektonischer Ideologie versucht haben, das exakte Gegenteil durchzusetzen: dass Architektur Stabilität, Solidität und Grundfestigkeit verkörpert. Ich würde behaupten, dass Architektur in widersprüchlicher Art und Weise benutzt wurde, gegen und trotz ihrer selbst, indem die Gesellschaft versucht hat, sich ihrer zum Zweck des Stabilisierens, des Institutionalisierens und des Etablierens von Dauerhaftigkeit zu bedienen.“ 6
Die Architektur der Parlamentsbauten ist also immer nur so stabil, wie die Gesellschaft, die sie erschafft.
Quellen:
1 Deutscher Bundestag, Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.): Deutscher Bundestag Bonn Neubau des Plenar- und Präsidialbereiches; Bonn 1993; S. 15
2 Norman Foster, Chris Abel: The Reichstag Foster + Partners; London 2011; S. 29, Eigenübersetzung
Originalzitat: „For the final design, however, the team developed a compressed semi-circular layout – an arrangement that retains the democratic qualities of the classic seating plan but makes it easier for anyone to address a full gathering from the front, in keeping with tradition.“
3 Behnisch & Partner: Plenarbereich des Deutschen Bundestages in Bonn, Berlin 1992; S. 18
4 Bundesbaudirektion: Realisierungswettbewerb Umbau Reichstagsgebäude zum Deutschen Bundestag; Ausschreibung Band 1, Berlin 1992; S. 64
5 Jürgen Reiche: Das Berliner Reichstagsgebäude. Dokumentation und ikonographische Untersuchung einer politischen Architektur; Berlin 1987; S. 2
6 Bernard Tschumi: Architecture and Disjunction; Cambridge, Massachusetts 1996; S. 19, Eigenübersetzung
Originalzitat: “Architecture’s inherent confrontation of space and use and the inevitable disjunction of the two terms means that architecture is constantly unstable, constantly on the verge of change. It is paradoxical that three thousand years of architectural ideology have tried to assert the very opposite: that architecture is about stability, solidity, foundation. I would claim that architecture was used as ‘à contre-emploi’, against and despite itself, as society tried to employ it as means to stabilize, to institutionalize, to establish permanence.”
Es ist gut, einmal über den tieferen Sinn der Architektur zu sprechen. Der vorletzte Satz von Dr. Jan Esche „Da Architektur nur diejenigen Kräfte widerspiegeln kann, die bei ihrem Entstehen wirksam waren, muss das Konsequenzen auf die Gestalt unserer Architektur und unserer Städte haben“ gibt eigentlich die richtige Richtung an. Und man hofft von den führenden Architekten etwas zu der Gestalt der neuen Architektur zu erfahren. Man wird da aber kaum fündig. Allein Peter Haimerl nennt da einen konstruktiven Ansatz. Das ist zwar ein guter Ansatz, aber eben nur einer unter vielen Kriterien einer wirklich Heimat bietenden Architektur. Die Texte sind an sich ganz gut, z. B. auch der von Benedict Esche, aber sie sind immer nur mit der Forderung nach einer besseren Architektur ohne Nennung, was besser wäre und ohne kritische Auseinandersetzung mit der gerade üblichen Architektur und dem gängigen Städtebau. Denn das, was der BDA zur Zeit fördert und prämiert, ist grauenhaft. Ist da niemand mutig genug, sich damit auseinanderzusetzen?