Mathias Pfeil

Architekt und Generalkonservator Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, München

Das Second Life der Quelle  – Als sich die Firma Quelle um das Jahr 1950 dazu entschloss, ein neues Lager- und Versandhaus in Nürnberg zu errichten, bediente man sich dafür der neuesten Mittel und Wege. Obwohl Firmengründer Gustav Schickedanz (1895-1977) eine selbst für damalige Verhältnisse gediegene, konservative Formensprache schätzte, sollte das neue Versandzentrum den Charakter eines modernen, nach rationellen Gesichtspunkten geplanten Industriegebäudes erhalten. Anlieferung, Lagerung, Bestellabwicklung und Warenversand gehorchten den strengen Gesetzen eines klar strukturierten und standardisierten Betriebsablaufes. Die Weitläufigkeit und innere Organisation des riesigen Gebäudekomplexes entsprach den Bedürfnissen der der beginnenden Konsumgesellschaft. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit symbolisierte das Versandhaus Quelle die bis dahin unbekannte Vielfalt und allzeitige Verfügbarkeit der Warenwelt.  Das Verkaufskonzept und die Marktstrategie wurden rasch populär und blieben massentauglich über einen Zeitraum von gut fünfzig Jahren. Die Kundenzahl belief sich auf rund zwei Millionen Menschen. Der Erfolg des Unternehmens steht exemplarisch für den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Firmenname Quelle entwickelte sich – wie Tempo, Tesa oder Uhu – zu einem „Branding“, an dem der dicke Verkaufskatalog einen entscheidenden Anteil besaß.
Mit der baulichen Konzeption und architektonischen Gestaltung betraute Schickedanz den Architekten Ernst Neufert (1900-1986), der mit seiner Vorstellung der „Bauentwurfslehre“ ähnliche Gesetzmäßigkeiten von Entwurf und Ausführung verfolgte. Neufert war prädestiniert für die Bauaufgabe. Das zwischen 1954 und 1967 in mehreren Bauabschnitten, aber nach einheitlichem Konzept entstandene Versandzentrum sollte sich zu einem ikonenhaften Bauwerk für die Firma Quelle und die Stadt Nürnberg entwickeln.

Bautechnisch handelt es sich um eine Stahlbetonskelettkonstruktion mit frei gestaltbarer, nichttragender Fassadenhaut. Beim Fassadenentwurf beschränkte sich Neufert auf einige wenige Elemente, in strenger Ordnung übereinander geschichtet: Erstens die massiven Flächen, bestehend aus hellen, gelblichen Klinkerziegeln, zweitens die Betonflächen, die einen Hinweis auf die Materialität der Stützen und Decken geben, und drittens die filigran gebauten Metallfensterbänder. Mit dem Fensterband griff Neufert auf ein Motiv der Klassischen Moderne zurück, das von Le Corbusier (1887-1965), Walter Gropius (1883-1969) und Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) angewandt worden war, um die Leichtigkeit und Schwerelosigkeit des Neuen Bauens visualisieren zu können. In Nürnberg diente das Fensterband auch dazu, dem Betrachter das Innenleben der Quelle zu zeigen, nämlich Kranbahnen, Förderbänder, Rutschen, Regale und natürlich Pakete. Bei nächtlicher Beleuchtung zeigte sich dieses Schauspiel besonders deutlich. Menschen waren dagegen nicht zu sehen, denn dafür waren die Brüstungen viel zu hoch…

Die Aufnahme des Quelle-Versandgebäudes in die Denkmalliste der Stadt Nürnberg erfolgte im Jahr 2005 und beinhaltet auch die Nebengebäude wie Quelleturm, Pförtnergebäude und Heizhaus an der Wandererstraße. Mit dem Insolvenzverfahren der Arcandor GmbH im Jahr 2009 endete das erste Leben des Quellehauses, dem Hauptwerk im Oeuvre von Ernst Neufert. Natürlich stellt die Nachnutzung eines derart riesigen Gebäudes die Eigentümer, Planer und Genehmigungsbehörden vor besondere Aufgaben. Dazu gehört seit 2005 nun auch die Berücksichtigung des Denkmalschutzes. Doch liegen darin auch Chancen. Die Gestaltungsqualität des Gebäudes kann durchaus ein Faktor sein, der dem „zweiten Leben“ der Quelle zum Erfolg verhilft.

Die Identität dieses einmaligen Denkmals sichtbar zu erhalten, sollte Ziel der Umnutzung sein. Dass dabei nicht jedes Fragment eine neue Funktion erhalten und nicht jeder Bestandteil dieser riesigen Gesamtanlage fortbestehen kann, ist fraglos. Das beeindruckende Gesamtkonzept aber, das hinter „der Quelle“ steckt, sollte auch in Zukunft spürbar bleiben. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege wird jedenfalls sehr gerne dabei behilflich sein, Perspektiven für die Zukunft dieses einmaligen Denkmals zu finden.