Es ist an der Zeit, die Rahmenbedingungen für die Schaffung von Wohnraum in der gebotenen Offenheit und der notwendigen Radikalität zu diskutieren. Nur so kann der Aufbruch zu einer neuen Qualität für Alle im Wohnen gelingen. Für ein Wohnen, das sich auf Essenzielles besinnt und reich an Atmosphäre ist. Brauchen wir einen Perspektivenwechsel, um Wohnungsbau wieder als sozial- und stadtpolitisches Instrument einzusetzen, um auch im Wohnungsbau den Anschluss an eine sich wandelnde Gesellschaft zu schaffen?
Rainer Hofmann,
Architekt und Stadtplaner, München
Wohnungsbauplanung wird, in Zeiten zunehmendem Wohnraumbedarfs, offensichtlich auf zwei Themen reduziert; zum Einen – wie befriedige ich diesen Bedarf möglichst schnell und zum Anderen – wie erledige ich diese Aufgabe möglichst kostengünstig. Dabei werden zwei Punkte viel zu selten diskutiert: Welche Qualitäten sind denn heute im Wohnungsbau wichtig und welche Chancen bietet dieser enorme Bedarf?
Der beträchtliche Wohnraumbedarf (in Ballungsräumen), speist sich ja zum Einen aus einem tatsächlichen Nutzerbedarf, andererseits fußt dieser Bedarf aber auch, zu einem nicht zu unterschätzenden Teil, auf der andauernden volkswirtschaftlichen Niedrigzinssituation, die eine nachhaltige Vermögenssicherung scheinbar nur noch über Immobilienbesitz zu versprechen scheint.
Dieses enorme wirtschaftliche Potential kann uns als Planer nun als Basis des persönlichen wirtschaftlichen Erfolges dienen, die Auftragsbücher der meisten Büros sind voll, es birgt aber eben auch die Chance – seit langer Zeit mal wieder –Maßstäbe anderer Art zu setzen.
Dabei ist nach meiner Einschätzung der Wechsel der Betrachtungswinkel gar nicht schwer. Wir müssen uns, so glaube ich, nur für einen Moment auf uns selbst beziehen um zu verstehen, was guten Wohnungsbau ausmacht und in Folge, wie er entstehen könnte.
Scheinbar ist es uns (Architekten und Projektentwicklern, Behörden und Finanziers) bei all den Regeln und Ritualen, die wir uns über die Jahrhunderte im Bauen geschaffen haben, gelungen, ein solch cleveres System zu erschaffen, dass wir beim Bauen vergessen, wer wir sind und was wir uns wünschen.
Letzte Woche wurde ich zu einem Wettbewerb eingeladen, um auf einen Schlag über 300 Wohnungen – mitten in einer deutschen Großstadt gelegen – zu entwerfen. Der Investor bat mich im allerersten Gespräch darum, doch auf jeden Fall eine unsinnige Forderung der Stadtplanung in Frage zu stellen. Diese verlangte eine große Anzahl Sondernutzungen im Erdgeschoss unterzubringen; zwei, drei Läden maximal würde er gerade noch ertragen – mehr müsse aber echt nicht sein.
Ich kenne den guten Herrn nicht persönlich, ich wette jetzt aber mal, dass er selbst liebend gerne abends in einem kleinen Café an der Ecke sitzt und seinen Rotwein schlürft, davor noch eine Zigarre im Eckladen gekauft hat und sich beim Coiffeur direkt daneben die Haare frisieren lässt.
Ich weiß es natürlich nicht wirklich, vielleicht gibt es tatsächlich Menschen, die gerne in hübschen aber nutzungs-segregierten Wohnsilos wohnen. Das Komische ist nur, dass ich trotz meiner nicht ganz kurzen Lebenserfahrung einfach niemanden kenne, der tatsächlich so leben möchte. Mir drängt sich daher der Verdacht auf, dass das segregierte Wohnen nicht einem wahren menschlichen Bedürfnis entspringt.
Wir sehnen uns also, das behaupte ich jetzt mal, fast alle nach Mischung – nach dem Besonderen und – und das ist nicht das Unwichtigste – nach Authentizität unserer Umwelt.
Das Café, das unser Beispielbauherr nämlich hier aufsucht, ist kein StarBucks oder Vapiano sondern das Schlörs oder das Marita – inhabergeführt und individuell, echt und persönlich. Unabhängig von der Gestalt, den Cafépreisen, der Qualität der Speisen und Getränke ist es deswegen so besonders, weil es dort Personen gibt, die mit ihren Waren auch ein Stück von ihrer Zeit, ihrem Leben, ihrer Privatheit den Besuchern zur Verfügung stellen. Dieses Stück echte Leben, dieses kleine Stück Private im öffentlichen Raum ist das von dem wir schwärmen, uns erzählen. Es ist das, was wir posten – zusammen mit all den anderen sehr privaten Ereignissen, mit deren Erleben sich so viele von uns im digitalen Netz präsentieren.
Privatsender-Shows, bei denen sich Menschen so privat wie nirgendwo zeigen oder youtube-channels, die Lebensgeschichten von Einzelnen über lange Zeiträume, quasi in einer Art Dauerbiographie, präsentieren, haben heute höhere Nutzerzahlen als objektivierende Sachsendungen.
Das Private ist also im digitalen öffentlichen Raum längst präsent.
Das Private im Wohnungsbau begegnet uns hingegen in modernen Wohnwelten nur noch selten. Das kleine Café an der Ecke ist da schon eine Ausnahme.
Wenn wir uns also nach anderen sehnen, uns für Geschichten und Leben anderer interessieren, wenn wir am Leben Dritter partizipieren wollen und unter Umständen auch unser kleines Leben in unseren Lebensräumen gespiegelt sehen wollen, müssen wir doch nur genau diesen Bedürfnissen Raum geben.
Wir benötigen einen Wohnungsbau, der einerseits authentisch ist und mit dem man sich identifizieren kann und der andererseits Individualität zulässt, der adaptierbar ist, der unterschiedlichsten Bedürfnissen Raum gibt.
Gibt es so etwas nicht?
Im gemeinschaftlichen Eigentum wie in Baugemeinschaften und insbesondere im genossenschaftlichen Bauen sind in den letzten Jahren Projekte entstanden, die sich wirtschaftlich tragen, die sozial wie altersmäßig gemischt sind, die unterschiedlichste Formen der gemeinsamen Nutzung von Flächen quer finanzieren, und die diese gemeinschaftlichen Fläche betreiben.
Diese Modelle sind so erfolgreich, dass mittlerweile auch klassische Bauträger zu verstehen versuchen, warum diese Projekte funktionieren.
Offensichtlich sind Menschen bereit – in diesen begrenzten Mikrokosmen eines gemeinschaftlichen Projektes – Geld und Zeit zu investieren, um das eigene Wohnumfeld mit anderen zusammen so zu gestalten, dass eine nachhaltige Zufriedenheit entsteht.
Das Teilen ist dort offensichtlich kein Problem. Wir sollten dieses Phänomen näher betrachten – der Anteil an Flächen, die nicht vordefiniert sind, ist in diesen Projekten offensichtlich sehr hoch. Der Anteil an Flächen, die gemeinschaftlich genutzt werden, ebenso. Mit der Möglichkeit an Selbstentfaltung und Partizipation steigt offensichtlich die Bereitschaft andere zu ertragen und Nutzungen zu ermöglichen, die Bedürfnisse befriedigen, über die anderswo nicht einmal diskutiert wird.
In Zeiten, in denen weltweit Menschen Gehör finden, die Abgrenzung predigen, sind Projekte, die Menschen anderen Menschen näher bringen Gold wert.
Der soziale Zusammenhang einer Gesellschaft fängt bei jedem Einzelnen an. Das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Authentizität ist da. Diesem Bedürfnis Rechnung zu tragen, ist Aufgabe von uns Planern.
Perspektivenwechsel – Ja, auf jeden Fall!