Prof. Dr. Detlef Kurth

Stadtplaner

Die Frage ist suggestiv gestellt – das Planungsrecht behindert nicht, sondern ermöglicht lebenswerte, qualitätsvolle und sozial gerechte Quartiere. Insbesondere im internationalen Vergleich wird deutlich, dass in Deutschlands Städten hohe Standards für Städtebau, Umwelt, Verkehr und sozialen Ausgleich wirken, die als gesellschaftlich formulierter Rahmen für private Investitionen dienen.

Dichte und nutzungsgemischte Quartiere sind mit dem geltenden Planungsrecht spätestens seit den 1990er Jahren möglich – z. B. in der oft prämierten Tübinger Südstadt. Inzwischen sind durch die neue Gebietskategorie „Urbanes Gebiet“ sehr dichte Wohnquartiere jederzeit möglich. Aber auch in den anderen Gebietskategorien können diese Ziele umgesetzt werden – es muss nur begründet werden, und es müssen ggf. Kompensationen geschaffen werden. 

Dass viele neue Wohnquartiere dennoch häufig wie Kompromisslösungen aussehen oder wenig Nutzungsmischung aufweisen, hat andere Gründe. Die ökologischen und klimatischen Anforderungen sind in den letzten Jahren – zu Recht – stark angestiegen und erzwingen häufig auch städtebauliche Kompromisse. Diese Anforderungen sind zu berücksichtigen, aber der Städtebau darf hierbei nicht nur als Restgröße wahrgenommen werden.

Eine Nutzungsmischung lässt sich zwar planerisch festlegen, aber häufig nicht umsetzen. Selbst viele Altstädte verlieren ihren kleinteiligen Einzelhandel – hier muss die Auseinandersetzung mit den Discountern, Shopping-Malls und dem online-Handel gesucht werden, um wieder wohnungsnahen Einzelhandel zu ermöglichen. 

Ein zentraler Aspekt für urbane Quartiere ist eine auto-arme Mobilität – dies wird hier kaum thematisiert. Die häufig glorifizierten Quartiere der Gründerzeit waren autofrei – und zugleich waren sie überbelegt und hoch spekulativ. Für eine Stadt der kurzen Wege muss das Auto in den Städten seine Dominanz verlieren, und es darf auch nicht den großflächigen Einzelhandel am Stadtrand „kostenlos“ nutzen. Nur öffentliche Räume, die von allen Verkehrsteilnehmern gleichberechtigt genutzt werden, ermöglichen eine neue Lebendigkeit.

Zentrale Fragen des bezahlbaren und qualitätsvollen Wohnungsbaus sind nur bei einer reformierten Bodenpolitik zu lösen. Das Planungsrecht ermöglicht es bereits jetzt, über städtebauliche Verträge diverse Kompensationsleistungen für eine soziale Wohnungspolitik zu erreichen. Es erfordert nicht weniger, sondern mehr Instrumente der Bodenpolitik, um hochspekulativen Bodengeschäften und überteuerten, monotonen und „gated“ Wohnanlagen entgegenzuwirken. Nur dann können auch gestalterische, soziale und ökologische Qualitäten wirksam durchgesetzt werden.

Fragen der städtebaulichen Qualität sollten nicht ideologisiert werden – und die Leipzig Charta plädiert nicht für einen Stadttypus, sondern für eine offene, integrierte Stadtentwicklungsplanung. Wer definiert, was „beliebt“ oder was „schön“ ist? Die Gestaltqualität und die Gestaltkriterien sind immer Ausdruck eines gesellschaftlichen Vermögens. In einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft sind Städtebau und Stadtplanung Teil eines offenen Aushandlungsprozesses – ohne natürlich ohne ihre Qualitätsansprüche zu verleugnen. Stadtplaner und Architekten sollten hier gemeinsam für einen qualitätvollen Städtebau streiten, anstatt sich gegenseitig zu beschuldigen.

Ein Gedanke zu „Prof. Dr. Detlef Kurth“

  1. Die große Frage ist doch: Warum ist die vielfach prämierte Tübinger Südstadt die Ausnahme geblieben, die autoaffine, auf Rendite getrimmte, auf sich selbst bezogene Planung die Regel?

    Oder anders: Was bleibt uns als Gesellschaft, wenn wir den privaten (= dem Gemeinwohl entzogenen) und den dem Automobil gewidmeten Raum von einem Katasterplan abziehen?

    Wahrscheinlich nicht viel. Jedenfalls weniger, als in jedem klassischen Nolli-Plan sichtbar. Man bräuchte so etwas wie einen „Nolli-Index“ um diese Trostlosigkeit sichtbar zu machen.

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