Prof. Sophie Wolfrum

Architektin und Stadtplanerin

Die räumliche Struktur und die Gestalt der Städte, die Stadtgesellschaften bauen, basieren in den jeweiligen Epochen auf gemeinsamen zeittypischen Paradigmen, Leitbildern, Konzepten. Diese Konzepte nehmen Form an. Über Dekaden bilden sie die Grundlage multipler architektonischer und räumlicher Gestaltung. 

Konzepte für die Stadt der Moderne, wie sie u.a. in der Charta von Athen niedergeschrieben wurden, haben sich aus der Kritik der katastrophalen Lebensbedingungen in den Städten der Industriellen Epoche entwickelt. Vor allem mussten die Schadstoff emitierenden Orte des Arbeitens von den schonbedürftigen des Wohnens geschieden werden. Dies etablierte die Praxis der räumlichen Trennung von Arealen der Stadt nach Nutzungstypen, international zoning genannt. Für jede der als grundlegend verstandenen gesellschaftlichen ‚Funktionen‘ sollten eigene, voneinander separierte Stadtgebiete (zones) vorgesehen werden, um so ihren jeweiligen isolierten räumlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Reduzierung der Vielfalt der Stadt auf wenige räumlich voneinander zu trennende ‚Funktionen‘ durchdringt die Stadtplanung bis in die Gegenwart hinein, denn das Deutsche Baugesetzbuch, rechtskräftig als Bundesbaugesetz seit 1960, ist von diesem Geist der Moderne geprägt. Insbesondere betrifft das die BauNVO, die seitdem nur wenige Male novelliert wurde. Die Zerteilung der Städte in hermetisch definierte Baugebiete (zoning) liefert weiterhin das Grundmuster, nach dem räumliche Konflikte bewältigt und gegenseitige soziale Rücksichtnahme organisiert werden. Zum Planungsrecht kommt das Umweltrecht, das in den 1970er und 1980er Jahren entstand und den Grundsatz des Separierens und Trennens noch weiter verschärfte. Der Trennungsgrundsatz ist als juristisch kodifiziertes Paradigma dem gesamten Bau-, Planungs- und Umweltrecht strukturell eingeschrieben. 

Die dichte durchmischte Stadt dagegen, in der Arbeiten und Wohnen nahe beieinander sind, Nahverkehr vor der Haustüre, Einzelhandel um die Ecke, belebte Straßen, die nicht nur dem Autoverkehr vorbehalten sind, sowie schöne Plätze und eigensinnige Stadtbilder: Das ist die architektonische Form von Stadt, die heute wieder vielfach geschätzt wird. Mit dieser Wertschätzung stehen Architekten und Urbanisten nicht alleine da. Dass diese weit verbreitet ist, zeigen in vielen wachsenden Städten die entsprechenden beliebten Quartiere, deren Bodenpreise überproportional steigen, oder auch der rege Städtetourismus. Zugleich scheitert die Stadtplanung daran, diese Qualitäten und Dichten heute in neuen Quartieren zu erzielen. Erst seit dem Jahr 2017gibt es in der BauNVO den Gebietstyp Urbanes Quartier, der in Dichte und Mischung vergleichbare Stadträume ermöglichen würde. Das modernistisch geprägte Bauplanungsrecht hat dies zuvor verhindert. Deswegen steht eine grundlegende Novellierung an, die die Möglichkeit „Stadt“ zu bauen nicht nur auf den einen Gebietstyp beschränkt.

Im fundamentalen Unterschied zu dem Programm der Stadt der Moderne, das Aufräumen, Separieren und Purifizieren im Sinn hat, wären Paradigmen der Europäischen Stadt der Gegenwart: Durchdringung und Überlagerung von Räumen, gestaltete öffentliche Räume, Kommunikation zwischen räumlichen Elementen, artikulierte Schwellen und Zwischenräume, sowie: Mehrdeutigkeit, Koexistenz, Polyvalenz. Teilen statt Verdrängen. 

Ich wende mich dagegen, dass die gegenwärtige Debatte darauf fokussiert wird, die „Düsseldorfer Erklärung“ wolle ein ganz spezielles Bild von Stadt erzeugen. Die dort genannten Beispiele könnten dies suggerieren, dennoch habe ich sie aus den oben genannten Gründen unterschrieben. Auch wurde das Papier nach der vielschichtigen Debatte auf der Tagung in Düsseldorf leider nicht weiterentwickelt. 

Ebenso ist es misslich, dass die Gegenposition die Debatte unter dem Stichwort „Deregulierung“ führt. Natürlich brauchen wir ein Baugesetzbuch, dieses wird ja auch regelmäßig novelliert. 

Aber brauchen wir ein Städtebaurecht, das den Trennungsgrundsatz der Moderne fortschreibt? Das sicher nicht.