Vorspann:
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem Urteil festgestellt, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI mit EU-Recht nicht vereinbar sind. Auch nach dem EuGH-Urteil besteht jedoch keine rechtliche Verpflichtung, die HOAI-Honorarsätze zu unterschreiten. Müssen wir uns dennoch auf Dumpingpreise einstellen und folglich mit einer „Marktbereinigung“ in der BRD rechnen? Wie wirkt sich die EuGH-Entscheidung auf das treuhänderische Verhältnis zwischen dem Bauherren und seinem Architekten aus? Und wie passt der frei verhandelbare Preis zur gemeinwohlorientierten Verantwortung des Berufsstandes?
Keynote:
Rainer Post, Architekt, Vorstandsmitglied BDA Bayern, Referat für Honorar- und Baurecht, Digitales Planen und Bauen
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun am 04.07.2019 im Vertragsverletzungsverfahren zur Honorarordnung für Architekten und Ingenieure abschließend entschieden, dass Deutschland mit den in der HOAI verbindlich vorgegebenen Höchst- und Mindestsätzen gegen den Art. 15 der Richtlinie 2016/123 (sogenannte Dienstleistungsrichtlinie) verstößt.
Das Urteil muss erst differenziert betrachtet und analysiert werden. Die Auswirkungen können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig überblickt werden.
In einer ersten Durchsicht des Urteils ist jedoch Folgendes festzuhalten: Der Gerichtshof erkennt an, dass die Ziele der Qualität der Arbeiten (Planungsleistungen) und des Verbraucherschutzes zwingende Gründe des Allgemeininteresses sind, wie auch der Erhalt der Baukultur, der Bausicherheit und des ökologischen Bauens. Die Festsetzung eines Mindestpreises kann einen Konkurrenzkampf unter den Leistungserbringern durch Billigangebote und das daraus resultierende Risiko eines Verfalls der Qualität der erbrachten Dienst- und Werkleistungen vermeiden. Gerade in einem Markt wie dem deutschen, der durch viele kleine und mittlere Büros gekennzeichnet ist, kann die Festsetzung von Mindestpreisen eine hohe Qualität der Planungsleistungen sicherstellen. Jedoch ist dieses Qualitätsziel in „kohärenter und systematischer Weise“ zu erreichen.
Dagegen verstößt Deutschland, da Planungsleistungen auch von Dienstleistern erbracht werden können, die nicht eine entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen haben und nicht bestimmten Berufsständen, die über eine zwingende berufs- oder kammerrechtliche Aufsicht wie Architekten und Ingenieuren verfügen, unterliegen. Das Gericht schreibt hier, dass eine „Inkohärenz in der deutschen Regelung“ zu erkennen ist.
Auch das Argument Deutschlands, für die Einrichtung von Höchstsätzen den Verbraucherschutz gegenüber überhöhten Honoraren anzuführen, anstelle als weniger einschneidende Maßnahme den Kunden Preisorientierungen zur Verfügung zu stellen, hat der Gerichtshof als nicht verhältnismäßig angesehen.
Somit hat Deutschland mit den Regelungen über verbindliche Honorare für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieure gegen europäisches Recht verstoßen. Diese Regelungen dürfen ab sofort nicht mehr angewendet werden. Die sonstigen Inhalte der HOAI bleiben von dem Urteil des EuGH unberührt und sind auch weiterhin anzuwenden. Auch auf bestehende Verträge hat das Urteil in aller Regel keine Auswirkungen.
Es ist abzuwarten, wie der Gesetz- und Verordnungsgeber auf dieses Urteil reagieren wird, ob er die HOAI hinsichtlich der Vorgaben aus dem Urteil überarbeiten wird. Eine Chance wäre dies für uns Architekten, da dann endlich auch die berufliche Qualifikation für die Erbringung von Planungsleistungen geregelt werden müsste. Hier sind unsere Kammern gefordert. Zudem könnten die Leistungsphasen mit ihren Grundleistungen auf die heutigen Anforderungen angepasst werden. Die Stichpunkte hierfür sind z.B. die Integration von Zielen zum Klimaschutz, BIM-Planungsleistungen, Bedarfsplanung etc.
In der Übergangszeit wird die Bundesregierung wahrscheinlich über einen Erlass das Vorgehen für die öffentlichen Vergabeverfahren regeln. Eine Möglichkeit wäre sicherlich, die bisherigen Mindestsätze als Richtlinie für ein auskömmlich kalkuliertes Honorar anzusetzen und Unterschreitungen als Angebot niedriger Höhe zu werten. Auch sollte fixiert werden, dass das angebotene Honorar nur zu einem geringen Anteil in die Zuschlagskriterien einfließen darf (z.B. max. 20%).
Für uns Architekten wird es entscheidend sein, dass wir auch in Zukunft für unsere hohe Planungsqualität angemessene Honorare erhalten. Ein ruinöser Preiswettbewerb unter uns Architekten wird die Existenz von vielen kleinen und mittleren Büros gefährden und die doch in großen Teilen vorhandene Qualität von Planungsleistungen vermindern. Hier muss ein stringent solidarisches Handeln unter den Architekten ein Preisdumping und damit ein langfristiges Absinken der Honorare für unsere Leistungen, wie es in anderen Ländern zu beobachten war, verhindern. Der aktuelle Mindestsatz ist bereits jetzt kaum auskömmlich.