Michael Leidl, Architekt BDA + Stadtplaner, Vorstandsmitglied BDA Bayern, Referat für Raum- und Flächenplanung, Bad Birnbach
Mit dem aktuellen Volksbegehren ist der Landesentwicklung in Bayern eine ungewohnte Aufmerksamkeit zuteil geworden. Bei genauem Hinsehen spricht aus dem Volksbegehren die Sorge, dass die raschen und im Maßstab immer größer werdenden Veränderungen die Identität und Qualität der Landschaften und Orte Bayerns zerstören.
Es gilt ehrlich zu sein: die Qualität zeitgenössischer Siedlungen und Landschaften ist in der Krise. Wir bleiben städtebaulich, architektonisch, ökologisch, sozial, ästhetisch und oft auch funktional hinter dem Möglichen zurück. Trotzdem sind die von uns geschaffenen Städte, Siedlungen und Landschaften – ob sie nun „hässlich“ sind oder „schön“ Teil unserer Kultur. Sie sind Produkt unseres Handelns, unserer Werte und deren Verhandlung durch unterschiedlichste Akteure.
Wir haben längst jeden Quadratmeter Bayerns einer Nutzung zugeordnet und meist auch überformt. Große Teile dessen, was heute als Bayerische Kulturlandschaft, als heimatstiftende landschaftliche Qualität oder als touristisch attraktive Region wahrgenommen wird, sind seit Jahrhunderten von Menschen gestaltet und geprägt.
Verändert haben sich die Dimension dieser Eingriffe, ihr Maßstab und ihre Geschwindigkeit. Während jahrhundertelang regional und auf der Grundlage tradierten Wissens gehandelt wurde, hat der technische Fortschritt dazu geführt, dass jedes Material, jede Bauweise überall möglich geworden ist und schablonenhaft unter dem Primat der Ökonomie verwendet wird. Die Selbstverständlichkeit einer regionalen Identität in der Art der Landnutzung, der an Topographie und Klima angepassten Bauweise und Maßstäblichkeit von Haus und Stadt existiert nicht mehr.
Gleichzeitig sind diejenigen Projekte, die mit den größten Eingriffen und dem größten Flächenverbrauch verbunden sind, am stärksten mit der Struktur und Handlungsweise unserer Gesellschaft verknüpft: Logistikzentren, Gewerbegebiete, Einfamilienhaussiedlungen und Verkehrsprojekte bedienen Bedürfnisse, unserer Gesellschaft und sind Ergebnis der Summe unserer Entscheidungen als Nutzer, Bürger und Konsument.
Wir wissen um die Grenzen von Ökosystemen, Sozial- und Finanzstrukturen ebenso wie um die Begrenztheit von Fläche und Landschaft. Wir formulieren Ziele, um uns diesen Grenzen langsamer zu nähern, und scheitern als Gesellschaft bei der Umsetzung dieser Ziele wie als Individuen bei der Einhaltung unserer Neujahrsvorsätze.
Die Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften ist nicht nur eine Gestaltungsaufgabe, sondern berührt die Frage wie wir als Gesellschaft leben, uns treffen, fortbewegen, versorgen wollen. Wie bei Neujahrsvorsätzen ist die Veränderung nur dann zu schaffen, wenn das Problem erkannt, ein Ziel in Sicht und die Entschlossenheit ausreichend groß ist.
Wir stehen mitten in einem Transformationsprozess, der in der Landschaft und am Rand unserer Städte sichtbar wird. Nur wenn wir diesen Prozess ernst nehmen und bewusst damit umgehen, kann er auch auf der Ebene der Gestaltung unseres künftigen Lebensraumes gelingen.