Anna Hanusch

Architektin und Stadträtin Fraktion Bündnis90/DieGrünen/RosaListe, München

Für Kreativität ohne Obergrenze

Architektur prägt unser Umfeld und uns selbst und hat neben allen funktionalen, ökologischen und ökonomischen Aspekten auch immer eine sehr emotionale Seite. Sie kann langweilen, abschrecken oder begeistern. Und bei den Hohen Häusern schlagen die Emotionen immer besonders stark aus.

Die in München mit einem Bürgerentscheid 2004 beschlossene pauschale Begrenzung auf max. 100 m für die gesamte Stadtfläche greift grundsätzlich in die Expertise der Stadtplanung und der Architektur ein, nach der sich die Gestalt eines Baus immer aus dem Ort und der Nutzung entwickelt. Ich konnte diese Begrenzungshaltung nie unterstützen und hoffe sehr, dass wir diese lähmende gläserne Decke über der Stadt in einem gemeinsamen Prozess der Politik mit der Stadtgesellschaft endlich durchbrechen.
Eine Stadt ist ein dreidimensionaler Raum. Er wird lebendig durch die Spannungen, die entstehen im Kleinen zwischen Materialen, Farben, Formen. Im Spiel zwischen Dichte und Offenheit, von klaren Strukturen und bunten chaotischen Orten. Und wenn man den Blick weitet, sucht man zur Orientierung die individuellen, markanten Stadtzeichen. Traditionell die Kirchtürme, aber auch manch funktionaler Turm wie ein Schornstein des Heizkraftwerks wird verteidigt und vermisst, da er sich im Bild verankert hat. Frühe Hochhäuser von BMW oder der Hypovereinsbank haben sich zu Wahrzeichen Münchens entwickelt.
Der einzigartige Olympiapark lebt von der Komposition aus der Landschaft mit den Hallendächern. Aber erst im Zusammenspiel mit dem Olympiaturm wird diese Komposition wirklich komplett und sorgt für eine von weitem erkennbare Verankerung im Stadtbild.
Aus der Höhe und Sichtbarkeit ergibt sich ein hoher Anspruch an die Gestaltung und die Wirkung der Häuser, den neuere Beispiele nicht ausreichend erfüllt haben. Trotzdem sollten wir uns von diesem Bautypus nicht komplett verabschieden. Der bessere Weg ist es, mit der Hochhausstudie die Qualitäten und Anforderungen klar zu formulieren und zu sichern.
Wer über den Tellerrand hinausschaut, sieht spannende Hochhaus-Projekte die moderne Wahrzeichen schaffen und dabei die drängenden Themen der Zeit aufgreifen und neu interpretieren. Mit vertikalen Wäldern oder energetisch autarken Türmen. Mit amorphen Wohnhochhäusern und einer Nutzungsmischung, die ein komplettes vertikales Quartier abbildet.
Die Erstellung von Hochhäuser ist mit einem hohem Aufwand an Ressourcen verbunden und per se als Gebäudetypus nicht besonders ökologisch. Aber in der Gesamtbetrachtung von Versieglung, Flächenverbrauch und Mobilität können sie trotzdem ein schlüssiger Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung sein. Die passenden Orte sind daher die Knotenpunkte im Verkehrsnetz, und sie sollten auch für besondere Orte oder Nutzungen stehen.

Das „Millionendorf“ ist ja die Summe ganz vieler Dörfer. Es gibt in München viele über Jahrzehnte gewachsene und durch Bauten von hoher Qualität geprägte Viertel mit klarem Wiedererkennungswert. Aber dazwischen sind Räume, die auf neue Interpretationen und auf die ganz spezielle Architektur warten, die auch mal hoch hinaus ragen und deutlich sichtbar sein darf.
Die Paketposthalle ist so ein Ort und mich überzeugt die Idee der Wiedererweckung eines Denkmals als Kulturraum, gepaart mit dem Mut zu Urbanität, Vielfalt und Dichte im Quartier direkt an großen Verkehrsadern ein weit ausstrahlendes Zeichen zu setzen. Aber dieser Ort ist nicht der einzige.
Die Veränderungen der Stadtsilhouette sind zu überprüfen, sollten aber die Entwicklung innerhalb einer so großen Stadt nicht verhindern. München ist kein Museum oder gar fertig gebaut, sondern eine Stadt im Prozess. Es wäre sehr schade, wenn München nur auf das Bewahren und Ergänzen des Bewährten setzt, oder meint, dem Denken in die Höhe eine Obergrenze mitgeben zu müssen. Ich wünsche mir eine Stadt die Offenheit und Neugier zeigt für die spannenden Ideen, die in der Zukunft noch in den Köpfen der kreativen Planer*innen in der Welt entstehen können.