Heiner Farwick

Architekt und Stadtplaner, Präsident des Bundes Deutscher Architekten BDA

Das Urteil gegen die deutsche Honorarverordnung öffnet den Markt und dereguliert ihn. Die Problematik der Qualitätssicherung ist massiv vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs betroffen. Die Frage ist, was ist uns gute Architektur wert? Wir als Architektenvereinigung sind dagegen, gute Architektur nur unter preislichen Gesichtspunkten zu betrachten. Es sollte nicht nur einen Preiswettbewerb um Architektur geben, wie es das Urteil des EuGH intendiert. Wir wollen Qualitätswettbewerb. Wenn Auftraggeber Planungsaufträge nur über den Preiswettbewerb vergeben und die Gerichtsentscheidung für sich nutzen, wird die Qualität zwangsläufig leiden. Es müssen die besten Architekturlösungen für unsere Städte gewinnen, nicht die billigsten. Ich denke, dass sich das auch mittlerweile in der deutschen Politik herumgesprochen hat.

Es ist deutlich spürbar, dass in den letzten Jahren das Bewusstsein für die Qualität von Stadtplanung zugenommen hat. Das Zusammenleben in der Stadt braucht einen gut geformten Städtebau. Für diese Planung brauchen wir Zeit und vor allem Freiraum im Denken und Konzipieren. Das geht mit Preisdruck nicht. Es geht hier um eine schöpferisch-kreative Leistung. Wenn man diese zu sehr einengt, dann wird es immer die erstbeste und nicht die qualitativ hochwertigste Lösung. Preisdumping wäre gefährlich für unser Stadtbild. Schon jetzt sehen wir Gebäude entstehen, die nicht unseren Ansprüchen entsprechen. Architekten, die versuchen, qualitätvoll zu bauen, kommen durch das Urteil unter erheblichen Druck. Für diese Büros wird es nun noch schwerer, den Wert der Dienstleistung Architektur gegenüber der Öffentlichkeit zu vermitteln. Das verringert den Raum und die Zeit zum Planen.

Eine Architektur, die erfolgreich ist und zugleich gut funktioniert, die durchdacht ist, braucht Planung. Sinnlichkeit ist da wichtig. Menschen möchten sich wohlfühlen. Raumqualitäten, Materialien, Nutzungsansprüche und am Ende auch die Ästhetik spielen eine wichtige Rolle dabei.

Am stärksten betroffen von der Entscheidung des EuGH sind kleinere und mittlere Architekturbüros, die vor Ort gute Architektur realisieren wollen. Gerade das ist besonders bedauerlich, weil dem baukulturellen Reichtum Deutschlands dadurch erheblicher Schaden zugefügt wird. Bayerische Städte sehen anders aus als niedersächsische. Dazu trägt auch eine faire Bepreisung von Architektur bei, da gerade kleine Büros diese Traditionen bewahren. Architektur findet ja nicht nur in den Metropolen statt. Die Büros der Star-Architekten sind sowieso gefragt. Um die mache ich mir keine Sorgen.

Das Argument des EuGH von der Belebung des Wettbewerbs auf dem europäischen Markt ist hier vollkommen vorgeschoben. Bei fast allen Bauaufträgen, die gesetzliche Schwellenwerte erreichen, wird in der Bundesrepublik europäisch ausgeschrieben. In deutschen Metropolen arbeiten fast alle internationalen Büros erfolgreich. Der deutsche Architekturmarkt ist schon vergleichsweise frei organisiert und internationalisiert. Die europäischen Kollegen können sich gut an Bauvorhaben in Deutschland beteiligen Das Urteil des EuGH wird daran nichts ändern. Dass jetzt mehr rumänische, polnische oder portugiesische Büros hier bauen wollen, bezweifle ich. Die Barrieren liegen in den kulturellen und sprachlichen Unterschieden, nicht in der Honorarverordnung. Es wird deshalb nicht zu der Belebung des Marktes kommen, die die EU-Kommission mit ihrem Verfahren zu den Architektenhonoraren bezwecken wollte. Im schlimmsten Fall hat es nur negative Auswirkungen für die deutsche Architekturbranche.

Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag für den Erhalt der Honorarverordnung ausgesprochen. Auch der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil deutlich gemacht, dass eine Mindesthonorargrenze schon im Rahmen des EU-Rechts möglich ist. Es liegt nun an der deutschen Regierung, eine Gesetztesänderung durchzuführen, die gerade kleine Architekten schützt und das Honorarniveau zu erhalten hilft. Damit wären auch der qualitative Anspruch und die kulturell bedeutsame Architekturvielfalt in Deutschland gesichert.

Dieser Beitrag basiert auf einem Gespräch mit Heiner Farwick in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 05.07.2019.