Das Regionalmarketing zeichnet allzu gern ein Gesicht Bayerns im Stile weiß-blauer Heimatromantik: Barocke Kirchen vor Alpenpanorama, Schlösser und Bauernhäuser vor Badeseen, Kunst und Kultur in belebten Innenstädten. Jenseits der schönen Bilder wachsen aber Funktionsbauten in die Flächen, bei deren Planung Ortsidentitäten, zukunftsgerechte Nutzungshorizonte und der Umgang mit räumlicher Vielfalt kaum eine Rolle gespielt haben kann. In ihrem Schatten verschwinden nicht nur Raumkategorien und architektonische Gestaltungsziele. Unter der vermeintlichen Homogenisierung nehmen zugleich räumliche Disparitäten zu und Spielräume für andere als instrumentelle Raumbezüge ab. Aus der Perspektive einer funktionalen und ökonomischen Bewertung fällt es schwer, der lebensweltlichen Bedeutung von Raumerfahrungen, der durch sie ermöglichten oder versagten Teilhabe und den langfristigen Entwicklungsbedarfen hinreichend Aufmerksamkeit zu schenken. Werden diese baulichen Hinterlassenschaften in der Zukunft als inspirierende Ausgangspunkte der Welterfahrung erlebt? Oder als planloses Ergebnis einer investorgetriebenen Fortschreibung des Status quo?
Die großen Probleme des Klimawandels, wachsender Ungleichheit und kultureller Konflikte werfen auch für die lokale Raumentwicklung neue Fragen auf. Notwendig erscheint eine bewusste Gestaltung sozial und baulich zukunftsfähiger Räume, die nachhaltig, inklusiv und demokratisch die kosmopolitischen Wirklichkeiten aufnimmt und zu gestalten versucht. Beim Ringen um gute Formen des räumlichen Zusammenlebens – mit dem kulturell Fremden, dem ökologisch Notwendigen und weiteren ausgeblendeten Dritten – geht es nicht um rückwärtsgewandte Konflikte zwischen Park und Parkhaus. Es geht um eine postindustrielle Neuerfindung bisheriger Raumansichten und -zugänge: Wie sehen Räume aus, die den historisch neuen, existenziellen Schicksalsgemeinschaften des kosmopolitischen Zeitalters Rechnung tragen? In welchen baulichen und infrastrukturellen Umwelten entstehen Verantwortlichkeit und Sensibilität für ökologische und soziale Abhängigkeiten und Wechselwirkungen? Welche Infrastrukturen eröffnen mehr Zugänge als sie verschließen?
Die räumliche Erfahrung fehlender Zukunftsperspektiven und sozialer, ökonomischer und ökologischer Ungerechtigkeit erzeugt weltweit Gewalt und Konflikte. Offene und auf Austausch angelegte Räume sind demgegenüber ein Nährboden bürgerlicher Zivilcourage. Alternative Raumansichten beleben den Möglichkeitssinn für konvivialistische Formen des In-der-Welt-Seins. Schon entstehen hier und dort in Baugemeinschaften, Zwischennutzungen, künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Raumaneignungen lokale Nester transformativer Raumlabore. Was aber noch weitgehend fehlt, ist eine konzeptionelle Integration ihrer Ideen und Experimente in die Debatte über eine lokal anschlussfähige und global verantwortliche räumliche Entwicklung.