Prof. Jörn Walter

ehemaliger Oberbaudirektor von Hamburg, Honorarprofessor der HafenCity Universität Hamburg

Weniger Vorurteile – Mehr Sachlichkeit! Man reibt sich ja schon mit etwas Verwunderung die Augen, wenn man in Anbetracht der trockenen und jahrelang nur Insider interessierenden Materie die zum Teil heftigen Reaktionen auf die „Düsseldorfer Erklärung“ liest. So kann man sich eigentlich nur darüber freuen, dass durch die Initiative von Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne jetzt endlich die sperrige Thematik auf eine breitere Resonanz in der Disziplin stößt. Das Problem ist nur, dass es dabei kaum um die Forderungen, nämlich die Anpassung der überholten Vorschriften der BauNVO und der TA-Lärm geht, sondern eine reflex- und klischeehafte Reaktion auf vermeintliche städtebauliche Typologien und Ideologien, die sich dahinter verbergen würden. Deshalb ist es nötig, die Dinge wieder etwas vom Kopf auf die Füße zu stellen. Denn bei allen Differenzen, Animositäten und Eitelkeiten dürfen die gemeinsamen Interessen der Profession nicht vergessen werden, um gegenüber der Politik, anderen Fachdisziplinen und der Öffentlichkeit wieder etwas mehr Gewicht zu erlangen.

Soweit aus den bisherigen Diskussionsbeiträgen erkennbar, ist an den Vorschlägen zu einer Aktualisierung der Baugebietstypen und Nutzungskataloge der BauNVO im Sinne einer größeren Funktionsmischung und -vielfalt wenig Kritik erkennbar: Und es ist ja auch wirklich nicht mehr zu verstehen, warum das Wohnen nicht zur allgemeinen Zweckbestimmung unserer Innenstädte und zentralen Orte (MK-Gebiete) gehören soll, warum wir noch an Reinen(!) Wohngebieten (WR) festhalten und die Allgemeinen Wohngebiete (WA) nicht stärker für nicht störende Dienstleistungs- und Gewerbetriebe öffnen. Oder unsere kostbaren Industrie- und Gewerbegebiete mit sogenannten „sonstigen“, nicht störenden Gewerbetrieben, wie vornehmlich allen möglichen Zweigen des Einzelhandels, volllaufen lassen – mit der unangenehmen Folge, ständig unter dem Druck der Industrie- und Handelskammern neue an den Stadträndern und Autobahnabfahrten ausweisen zu müssen. 

Der Streit hinsichtlich der BauNVO macht sich bislang an dem Vorschlag zur Abschaffung der Dichte-Obergrenzen des §17 fest, worin der Versuch zur Deregulierung und Öffnung gegenüber dem freien Spiel der Kräfte des Marktes gesehen wird. Stimmt das aber? Dem kann nur widersprochen werden, denn es geht hier nicht um Deregulierung, sondern den Versuch einer Neuregulierung des in vielerlei Hinsicht höchst widersprüchlichen Konstruktes der GFZ: Politisch geht es nicht darum, ob Höchstdichten in Bebauungsplänen festgesetzt werden dürfen, sondern nur um die Frage, ob es einen Bedarf an einem bundeseinheitlichen Maximalwert von der kleinsten Kommune Arnis in Schleswig-Holstein bis zur Frankfurter City gibt – was selbst für den Laien in Anbetracht ganz unterschiedlicher Sachverhalte und -bedarfe völlig unsinnig ist. Juristisch geht es um die Frage, ob bei einer Überschreitung der mit Ausnahme der MK- und MU-Gebiete sehr niedrigen GFZ-Höchstwerte der BauNVO noch gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gegeben sind. Ausnahmen sind zwar möglich, müssen aber ausführlich begründet werden, binden sehr viel Verwaltungskraft und sind juristisch anfällig, wie zuletzt die Gerichtsurteile aus den Jahren 2007 bis 2010 in Berlin gezeigt haben, die ja Anlass der neuerlichen Diskussion waren. Schließlich fachlich um eine kontraproduktive Rechenmethode, die eine großzügige Ausweisung öffentlicher Flächen und Grünanlagen damit bestraft, dass die GFZ-Werte völlig losgelöst von der realen baulichen Dichte künstlich in die Höhe getrieben werden. Alles zusammen gibt nun im Kontext des Wachstums der Städte, des Wohnungsbedarfes und des Flächenverbrauchs wirklich Anlass, über die Sinnhaftigkeit bundeseinheitlicher Höchstwerte nachzudenken.

Und was die Kritik der „Düsseldorfer Erklärung“ an der TA-Lärm anbetrifft, geht es ja gerade nicht um eine Verminderung des Lärmschutzniveaus, wie es aus dogmatischen Gründen unnötiger Weise bei der Einführung des Urbanen Gebietes geschehen ist, sondern darum, die Möglichkeiten des passiven Lärmschutzes, die im Falle des Verkehrslärms sehr erfolgreich entwickelt worden sind, auch bei gewerblichem Lärm als letztes Mittel in der Wahl rechtssicher nutzen zu können. Dies ist auf der Basis der TA-Lärm derzeit nicht möglich, weil sie ausschließlich auf Außenpegel in 0,5m Abstand vor der Fassade abstellt. Als Lösungsinstrument kommen deshalb beim gewerblichen Lärm im Falle der Überschreitung der Obergrenzen nur die Untersagung einer heranrückenden Wohnbebauung oder Lärm mindernde Auflagen für die emittierenden gewerblichen Betriebe – mit der häufigen Folge der Verdrängung – in Frage. Beides steht ganz offensichtlich im Widerspruch zur gemischten und urbanen Stadt von morgen.

All diese Themen haben wenig mit der Frage bevorzugter Bautypologien (Blöcke, Zeilen Punkte) oder historischer und zeitgenössischer Vorbilder zu tun. Und auch nur in Grenzen mit der Frage, ob es um große oder kleine Städte geht, die ja trotz des ganzen Siedlungsbreis häufig ihre dichten mittelalterlichen oder dörflichen Kerne haben. Richtig ist nur, dass sie sich bezogen auf den einzelnen Sachverhalt in unterschiedlicher Schärfe und Dringlichkeit stellen. Deshalb ist der Versuch von falschen Ideologiesierungen hier gänzlich unangebracht. Und die Forderung, uns von den vielen Bypässen am Rande des geltenden Rechts im Städtebau etwas zu befreien, steht anderen Initiativen, die sich auf das Boden- und Mietrecht, den Klimaschutz oder die Mobilitätsfrage richten, nicht entgegen, sondern ist Teil eines insgesamt großen Reformbedarfes.