Reiner Nagel

Architekt und Stadtplaner, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur, Potsdam

Die Hälfte unserer Kulturlandschaft wird bis 2030 ihr Erscheinungsbild wandeln. Nach Erkenntnis der TU Dresden sind Energiewende, Infrastrukturen und Siedlungserweiterungen hierfür die Ursachen. Beim kaskadenförmigen Abwägungsprozess von der Raumordnung über die Stadtentwicklung und -planung bis zum technischen Ausbau sind das Orts- und Landschaftsbild dabei eher ein zufälliges Residual als ein gewünschtes Zielbild. Geteilte Verantwortungen führen zur Unverantwortlichkeit beim Thema Schönheit der Kulturlandschaft. Selbst bei der vermuteten Zuständigkeit der Landschaftsplanung ist das Landschaftsbild nur ein Kriterium neben dem Naturhaushalt, dem Umweltschutz oder dem Biotop- und Artenschutz.

Wenn aber Kulturlandschaft künftig nicht nur technokratische Spielbühne, sondern gestaltete und emotional berührende Umwelt sein soll, müssen wir einen radikalen Perspektivwechsel vollziehen: Baukultur schaut vom Ergebnis her auf die Kulturlandschaft. Dabei stellt sie mit den Worten der am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos beschlossenen europäischen Erklärung zur Baukultur 2018 fest, „ …dass sich überall in Europa ein allgemeiner Verlust an Qualität der gebauten Umwelt und der offenen Landschaften abzeichnet, was sich in einer Trivialisierung des Bauens, in fehlenden gestalterischen Werten und einem fehlenden Interesse für Nachhaltigkeit, in zunehmend gesichtslosen Agglomerationen und verantwortungslosem Landverbrauch, in einer Vernachlässigung des historischen Bestandes und im Verlust regionaler Identitäten und Traditionen zeigt.“ Dagegen brauchen wir gestalterische Kategorien wie „Einbettung in die Landschaft“, „Orte des ersten Erkennens“ oder „Auswirkungen auf das Stadt- und Landschaftsbild“. Sie dürfen nicht als naiv klingende Abwägungsvokabeln gesehen werden, sondern als Gebot der Stunde. Nur so haben wir eine Chance, das gebaute Chaos, das wir bereits angerichtet haben und das drohende, schrittweise wieder aufzuräumen.